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BGH: Happy Bit – Anspruch betreffend Computerprogramm



Happy Bit - BGH zum Patentanspruch betreffend Computerprogramm

Mit der aktuellen BGH Entscheidung Happy Bit bestätigt der Bundesgerichtshof erneut die erst kürzlich von der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts in den Entscheidungen G 1/22 und G 2/22 entwickelte Praxis zum Prioritätsrecht.

Die Priorität zurecht beansprucht zu haben ist demnach die Grundvermutung, die nur widerlegt werden kann, wenn Beweise gegen eine gültige Übertragung dieses Prioritätsanspruchs vorliegen. Zudem bestätigt der BGH seine Rechtsprechung hinsichtlich der Beanspruchung von nicht in den Schutzbereich der erteilten Fassung fallenden Gegenständen im Nichtigkeitsverfahren und trifft eine Klarstellung bezüglich von Ansprüchen, die auf Computerprogramme gerichtet sind.

Prioritätsanspruch ist die Grundvermutung


Auch wenn für die behauptete Prioritätsübertragung beispielsweise keine arbeitsvertraglichen Beziehungen dargelegt werden können, ist dies kein Beweis für eine unrechtmäßige Übertragung des Prioritätsrechts.

Diese Einordnung des Prioritätsanspruchs ist mit den Entscheidungen G1/22 und G2/22 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (EPA) in die europäische Rechtsprechung übernommen worden. Der BGH folgte dem bereits Ende November 2023 mit der viel beachteten Leitsatzentscheidung Sorafenib-Tosylat: den Beweis, dass eine Priorität zu Unrecht beansprucht wurde, müssen demnach die Einsprechenden oder Nichtigkeitskläger erbringen.

„Für die Berechtigung zur Inanspruchnahme eines Prioritätsrechts bei der Anmeldung eines europäischen Patents spricht eine widerlegbare Vermutung“, lautet der diesbezügliche Leitsatz der aktuellen BGH Entscheidung Happy Bit (BGH, 09.01.2024, X ZR 74/21), eine ausdrückliche Bestätigung der BGH Entscheidung vom 28. November 2023 – X ZR 83/21 Rn. 110 ff. – Sorafenib-Tosylat.

Prioritätsanspruch im Fall Happy Bit


Es ist daher interessant, wie in der vorliegenden Entscheidung Happy Bit der Sachverhalt in Bezug auf den Prioritätsanspruch war, denn hier spielten Arbeitnehmererfinderrechte eine Rolle.

Das Streitpatent hatte die Priorität der NK5 in Anspruch genommen – doch war das wirksam? Es war zur Mitübertragung des Prioritätsrechts bei Inanspruchnahme der Arbeitnehmererfindung des finnischen Erfinders gekommen und zur Vorausabtretung des Prioritätsrechts als Ad-hoc-Entscheidung beim finnischen Erfinder sowie zur doppelten Vorausabtretung beim chinesischen Erfinder. Das vorinstanzliche Bundespatentgericht sah es daher als fraglich an, ob eine Vorausabtretung eines erst zukünftig entstehenden Prioritätsrechts nach Art. 87 Abs. 1 EPÜ möglich sei.

Die Klägerinnen argumentierten daher vor dem BGH, dass die Übertragung des Prioritätsrechts durch die Erfinder und Anmelder der NK5 auf die Anmelderin des Streitpatents unwirksam sei.

Doch der BGH folgte dem nicht. Anders als das Bundespatentgericht sieht der BGH den Prioritätsanspruch als zurecht übertragen an.
Dem Vortrag der Klägerinnen lassen sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, erklärte der BGH, dass die Übertragung des Prioritätsrechts durch die Erfinder und Anmelder der NK5 auf die Anmelderin des Streitpatents unwirksam ist. Der BGH verweist dabei ausdrücklich auf G 1/22 und G2 /22. Der Einwand, die Beklagte habe mit ihrem Vortrag zu den arbeitsvertraglichen Beziehungen der Erfinder zu der Beklagten die rechtmäßige Übertragung des Prioritätsrechts nicht darlegen und nachweisen können, reiche hierfür nicht aus. Es sei zudem nicht ausgeschlossen, dass im Streitfall individuelle Abtretungsvereinbarungen geschlossen wurden, ergänzte der BGH.

Hinzu komme, dass die beiden Anmelder der als Priorität in Anspruch genommenen US-Anmeldung (NK5) an der Einreichung der dem Streitpatent zugrundeliegenden PCT-Anmeldung beteiligt waren. Auch dies spreche dafür, dass die Beklagte zur Inanspruchnahme der Priorität berechtigt war.

Entgegen der Auffassung des Patentgerichts nimmt das Streitpatent die Priorität der NK5 wirksam in Anspruch, entschied der BGH.

Happy Bit - Der Sachverhalt


Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 929 826 (Streitpatent der NOKIA CORP, Finnland), das am 28. September 2006 unter Inanspruchnahme einer US-amerikanischen Priorität vom 29. September 2005 angemeldet wurde und die Datenratenvergrößerung in drahtlosen Kommunikationssystemen betrifft. Das dem Patent zugrundeliegende technische Problem ist die Verbesserung der Vorgaben zum Anfordern einer höheren Datenrate.

Die Klägerinnen machten geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig und gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus. Das Bundespatentgericht stimmte dem zu und hatte das Streitpatent im März 2021 für nichtig erklärt (6 Ni 32/19 (EP) verb. mit 6 Ni 33/19 (EP)). Gegen diese Entscheidung wendete sich die Patentinhaberin und Beklagte in der Berufung und verteidigte das Streitpatent mit einem Hauptantrag und verschiedenen Hilfsanträgen.

In der Sache ging es im vorliegenden Fall auch um die Frage: Wenn das Streitpatent zurecht die Priorität der NK5 beansprucht hatte - handelt es sich bei dem in der NK5 offenbarten Gegenstand denn überhaupt um den gleichen Schutzgegenstand wie beim Streitpatent?

Happy Bit - Anspruch betreffend ein Computerprogramm


Das Streitpatent betrifft wie auch NK5 ein Computerprogramm. Im Ausgangspunkt hatte das Patentgericht angenommen, dass sich aus dem in NK5 offenbarten Vorschlag, mit dem größeren Transportblock eine RLC PDU mehr zu übertragen als der aktuelle Transportblock erlaubt, und aus den zur Umsetzung definierten fünf Regeln noch nicht unmittelbar und eindeutig ergibt, dass die Größe jeder beliebigen Dateneinheit als Vergleichskriterium herangezogen werden kann.

Das ist eine zutreffende Annahme, entschied der BGH. Jedoch sei - anders als das Patentgericht meint - für eine diesbezügliche Offenbarung der Hinweis ausreichend, dass anhand der fünf Regeln die Größe einer RLC PDU identifiziert werden kann. Daraus ergebe sich hinreichend deutlich, dass es verschiedene Dateneinheiten mit unterschiedlichen Größen gibt und deshalb eine Auswahl erfolgen muss.

Im Unterschied zur Streitpatentschrift enthält NK5 allerdings nicht die Formulierung, dass der potentielle Transportblock für die Übertragung verfügbar sein muss. Dennoch ergebe sich aus den Ausführungen in NK5 hinreichend deutlich, dass es um die Prüfung geht, ob der identifizierte Transportblock tatsächlich übertragen werden kann (can be transmitted), und dass die genannten Begriffe (supported, not blocked, enough power) taugliche Kriterien für die Beurteilung der Übertragungsmöglichkeit bilden. Dies entspreche der Verfügbarkeit im Sinne von Merkmal 1.4 des Streitpatents. Es sei damit deutlich, dass zur Prüfung der Übertragungsmöglichkeiten alternativ oder kumulativ auch andere als die in NK5 ausdrücklich benannten Kriterien in Frage kommen.

Wenn ein Verfahrensanspruch keine Festlegungen bezüglich der Reihenfolge bestimmter Verfahrensschritte enthält, ergibt sich für einen Patentanspruch betreffend ein Computerprogramm, das ein durch dieselben Merkmale beschriebenes Verfahren durchführt, keine abweichende Auslegung, entschied der BGH und legte dies als Leitsatz fest.

Allerdings bestätigte der BGH die Feststellung des Bundespatentgerichts, das Patent sei hinsichtlich der mit dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen A bis C verteidigten Fassung nichtig, denn diese Anträge seien auf eine unzulässige Erweiterung des Schutzbereichs gerichtet. Im Streitfall führte die Ersetzung der Wörter "an apparatus associated with a user equipment" durch die Wörter "a user equipment" zur Einbeziehung eines anderen Gegenstands in diesem Sinne. Das Verfahren laufe auf einem einzelnen Computer Chip ab. Gerade hier würde der Schutz vom Betreiben des Chips auf das Betreiben des vollständigen Endgeräts erweitert.

Doch ein Patentanspruch darf im Nichtigkeitsverfahren nicht so geändert werden, dass er einen von der erteilten Fassung nicht umfassten Gegenstand einbezieht (Leitsatz und Bestätigung von BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - X ZR 56/17, GRUR 2019, 389 Rn. 33 - Schaltungsanordnung III).

Letztlich entschied der BGH daher, die Berufung der Beklagten sei teilweise begründet. Hinsichtlich des Hilfsantrags 1.1 erweise sich die angefochtene Entscheidung als fehlerhaft. Daher wird das Urteil des Bundespatentgerichts vom 18. März 2021 abgeändert.
Das europäische Patent 1 929 826 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass die Patentansprüche 1, 17 und 31 die vorliegend aufgeführte Fassung erhalten und die Rückbezüge in den übrigen Ansprüchen sich auf diese Fassung beziehen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

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