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BGH: Ist allgemeines Wissen naheliegend für den Fachmann?



BGH: Ist allgemeines Wissen naheliegend für den Fachmann?

Kommt es zu Patentstreitigkeiten im Rahmen eines Nichtigkeitsverfahrens ist stets ein wichtiger Aspekt, ob die Lösung der technischen Lehre für einen fiktiven Fachmann naheliegend gewesen wäre. In diesem Kontext hat der BGH mit der Leitsatz Entscheidung Leuchtdiode zu der Frage entschieden, ob allgemeines Wissen als naheliegend für den Fachmann anzusehen ist.

Streitpatent betrifft Leuchtdiode alias ‚LED‘


In der Sache ging es um das (mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilte) europäische Patent Nr. 1 697 983, das hocheffiziente Leuchtdioden auf Galliumnitridbasis mit Oberflächenaufrauung betrifft. Im allgemeinen Sprachgebrauch sind die sog. N-Leuchtdioden als "LED" bekannt. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, die Effizienz der Lichtextraktion von GaN-basierten Leuchtdioden zu verbessern. Es ist bereits seit fast 20 Jahren in Kraft, das Streitpatent wurde im Dezember 2003 angemeldet.

Doch seit Jahren ist zu diesem Patent ein Nichtigkeitsverfahren anhängig. Die Antragstellerin und Klägerin hatte geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, gehe über den Umfang der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus und sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne.
Vor dem vorinstanzlichen Patentgericht hatte diese Klage Erfolg, das Streitpatent wurde im Juli 2020 insgesamt für nichtig erklärt (Bundespatentgericht, Entscheidung vom 02.07.2020 - 2 Ni 22/20 (EP)). Hiergegen richtete sich die Berufung der Patentinhaberin, mit der sie das Streitpatent in der erteilten Fassung und hilfsweise in den Fassungen der erstinstanzlichen Hilfsanträge 1, 1D und 3 verteidigten. Der BGH hat dazu mit der folgenden Leitsatzentscheidung Leuchtdiode entschieden (BGH, X ZR 82/20).

Technische Lösung des Streitpatents – offenbart?


Zur Erhöhung der Lichtemission wird im allgemeinen bei hocheffizienten Leuchtdioden eine aktive Schicht an der Grenzfläche zwischen dem n- und p-Halbleiter eingefügt. Nach der Streitpatentschrift kann die interne Quanteneffizienz GaN-basierter Leuchtdioden, welche durch die Kristallqualität und Epitaxieschichtstruktur bestimmt werde, nur noch wenig verbessert werden.
Hingegen bestehe bei der Erhöhung der Lichtextraktionseffizienz noch großes Verbesserungspotential. Die Extraktionseffizienz werde auch durch den strukturellen Aufbau der
Leuchtdiode beeinflusst. Konkret betrage der kritische Winkel aufgrund der unterschiedlichen Brechungsindizes von GaN und Luft für den Lichtaustrittskegel 23°, was dazu führe, dass der ganz überwiegende Teil des Lichts nicht aus dem Halbleiter heraus, sondern in diesen zurück reflektiert werde.

Zur Lösung des Problems schlägt daher das Streitpatent in Patentanspruch 1 eine Leuchtdiode mit bestimmten Merkmalen vor allem in Bezug auf die als "N-Oberfläche" bezeichneten Stickstofffläche und in Patentanspruch 9 ein Verfahren zu ihrer Herstellung vor. Diese Thematik ist auch Gegenstand von Fachliteratur, auch der Literatur aus dem Jahr 2003, die für diesen Fall herangezogen wurde.

War das Streitpatent erfinderisch oder naheliegend?


Der Bundesgerichtshof erklärte, das Patentgericht habe zu Recht entschieden, dass der Gegenstand der erteilten Patentansprüche 1 und 9 ausgehend von FROH08 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Nach FROH08 erfolgt das Aufwachsen der GaN-Schichten auf einem Saphirsubstrat mittels des MOCVD-Verfahrens. Der Gegenstand der erteilten Patentansprüche 1 und 9 war einem Fachmann ausgehend von FROH08 und unter Heranziehung des ihm durch FROH12 vermittelten Fachwissens nahegelegt, entschied der BGH.

In Bezug auf die Fassung des Streitpatents nach Hilfsantrag 1D urteilte der BGH jedoch anders als das Patentgericht, das diese Fassung ebenfalls als nicht erfinderisch beurteilt hatte. Diese Entscheidung des BPatG sei nicht zutreffend.
Der BGH verwies auf die Rechtsprechung, demnach die Kennzeichnung eines Erzeugnisses auch durch das Verfahren zu seiner Herstellung gekennzeichnet werden kann, wenn eine Kennzeichnung durch Parameter seiner Eigenschaften unmöglich oder ganz unpraktikabel ist (BGH, 30. März 1993- X ZB 13/90, GRUR 1993, 651, 655 - Tetraploide Kamille).

Das trifft auch in dem vorliegenden Fall zu. Nach dem Hilfsantrag 1D sind die Merkmale 1.3 und 9.3 in der Weise ergänzt, dass die freiliegende N-Oberfläche durch anisotropes Ätzen aufgeraut ist bzw. wird, wodurch eine Strukturierung der freiliegenden N-Oberfläche in eine Vielzahl von zufällig angeordneten hexagonalen Kegeln erfolgt.

Einem Fachmann sei keine Anregung ersichtlich gewesen, auf die aus dem Stand der Technik bekannte Ätzmethode, wie z. B. das anisotrope Ätzen, zurückzugreifen, und zwar unabhängig von der Verwendung eines Lasers. Da FROH14 im Hinblick auf die Fertigung der Oberflächenstrukturen mittels Laserätzen kein Hinweis auf die Bedeutung der Polarität der zu ätzenden Oberfläche zu entnehmen ist, bestand für den Fachmann nach Ansicht des BGH auch kein Anhaltspunkt, der Unterscheidung zwischen N- und Ga-Oberfläche eine Bedeutung beizumessen.
Dass der Fachmann nach Ansicht des Patentgerichts die Aussage in FROH14 zur schweren Ätzbarkeit von GaN nicht als uneingeschränkt gültig betrachtet und ihn nichts davon abgehalten hätte, die N-Oberfläche mittels einer KOH-Lösung zu ätzen und so die pyramidale Oberflächenstruktur herzustellen, steht der Annahme erfinderscher Tätigkeit ebenfalls nicht entgegen, erklärte der BGH.

Ist allgemeines Wissen naheliegend für den Fachmann?


Denn das Auffinden einer neuen Lehre zum technischen Handeln kann nicht schon dann als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend bewertet werden, wenn lediglich keine Hinderungsgründe zutage treten, von im Stand der Technik Bekanntem zum Gegenstand dieser Lehre zu gelangen. Vielmehr setze diese Wertung voraus, erläuterte der BGH, dass das Bekannte dem Fachmann Anlass oder Anregung gab, zu der vorgeschlagenen Lehre zu gelangen (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2009 - X ZR 65/05, GRUR 2010, 407 Rn. 17 - einteilige Öse).
„Der Umstand, dass die Kenntnis eines technischen Sachverhalts zum allgemeinen Fachwissen gehört, belegt noch nicht, dass es für den Fachmann nahelag, sich bei der Lösung eines bestimmten Problems dieser Kenntnis zu bedienen“, formulierte der BGH mit dem zweiten Teil seiner Leitsatzentscheidung.

Mit dem ersten Teil der Leitsatzentscheidung wird noch deutlicher, inwieweit allgemeines Wissen zu einem naheliegenden Lösungsweg führen kann:
„Das Beschreiten eines bestimmten Lösungswegs lag für den Fachmann nahe, wenn er eine Entgegenhaltung zur Lösung eines technischen Problems (Aufwachsen von GaN-Schichten auf einem Saphirsubstrat zur Herstellung einer Leuchtdiode) herangezogen und diese ihm eine Möglichkeit aufgezeigt hätte, wie das Problem mit angemessener Erfolgserwartung gelöst werden kann (Aufwachsen in [0001] Richtung mittels metallorganisch chemischer Dampfabscheidung [MOCDV]), insbesondere wenn es sich bei dieser Lösung allgemein um die vorherrschende Praxis (bei GaN-Halbleitern) handelte und alternative Ansätze keine signifikant höheren Erfolgsaussichten begründeten.“

In der Praxis bedeutet dies, dass der Lösungsweg das Schlüsselmoment einer guten Argumentation ist. Unsere Patentanwaltskanzlei ist darin sehr erfahren. Wir beraten und vertreten Sie gerne in einem solchen Fall und in allen anderen Fragen rund um eine Patentanmeldung.

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