EPA: Streitpatent Optischer Distanzmesser
In einer aktuellen EPA Entscheidung (T 1985/19 vom 22.9.2022) über ein Europäisches Patent im Bereich Optische Distanzmessung wurde der Schutzbereich des angegriffenen Streitpatents Optischer Distanzmesser bereits im Einspruchsverfahren eingeschränkt, und darüber hinaus noch einmal im anschließenden Beschwerdeverfahren.
Die Entscheidung gibt einen guten Einblick, wie im Bereich optische Distanzmessung eine Erfindung als neu und erfinderisch gelten kann, obwohl der optische Distanzmesser der Druckschrift D1 als nächstliegender Stand der Technik dem beanspruchten Distanzmesser schon ziemlich naheliegt.
Der Sachverhalt
Bereits in der Vorinstanz wurde das Streitpatent Elektrooptischer Distanzmesser und Distanzmessverfahren (EP 2998700) der Patentinhaberin, die Hexagon Technology Center GmbH, das Streitpatent in geänderter Fassung aufrechterhalten, gemäß dem damaligen ersten Hilfsantrag.
Das aber reichte der Einsprechenden, der SICK AG, nicht aus. Vor einer Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts (EPA) griff sie das Streitpatent erneut an und stützte sich auf die Einspruchsgründe mangelnde Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit.
Es ging in dieser Verhandlung daher um die Frage, ob und inwiefern sich das in geändertem Umfang aufrechterhaltene Streitpatent von der Entgegenhaltung D1 unterscheidet (D1 = EP 1 879 044 A1).
Vergleich zwischen nächstliegendem Stand der Technik und Streitpatent
Dabei hatte die Einspruchsabteilung zunächst folgende Übereinstimmungen zwischen der D1 und dem in geänderten Umfang aufrechterhaltenen Streitpatent ausgemacht:
• Thema: (Elektro) Optische Distanzmessung
• Optischer Distanzmesser
• mit Verwendung eines photodiodenbasierten Detektors
• mit unterschiedlichen lichtempfindlichen Flächen
• mit Zwei Photodioden PD und APD des Detektors
• mit Verstärkungsfaktoren (in D1 „unabhängig einstellbar“, im Streitpatent „unterschiedliche“)
Das Streitpatent unterscheide sich demnach von der D1 insbesondere durch:
a) konkrete Ausführungen zur Lichtempfangsschaltung
b) ein bestimmtes photosensitives Empfangsbauteil
c) gewisse Verstärkungsfaktoren
Optische Distanzmessung: Photosensitives Empfangsbauteil unterscheidungskräftig?
In ihrer Argumentation vor der Beschwerdekammer berief sich die Patentinhaberin auf die ihrer Ansicht nach unterscheidungskräftigen Merkmale ihres Patents. Die Patentinhaberin machte geltend, dass sich der beanspruchte Gegenstand des Streitpatents von dem Distanzmesser der Druckschrift D1 durch die Merkmale a) und b) im Detektor "mit einem photosensitiven Empfangsbauteil" und durch das Merkmal c) unterscheide.
Die Beschwerdekammer wies diese Argumentation jedoch zurück. Die breite Formulierung des Anspruchs 1 schließe nicht aus, dass das Empfangsbauteil aus verschiedenen Komponenten bzw. Teilbauteilen besteht. Das Empfangsbauteil des Distanzmessers der Druckschrift D1 wiederum könne als Detektor oder zumindest als Komponente eines einzigen Detektors im Sinne des Anspruchs 1 betrachtet werden.
Auch das Argument der Patentinhaberin, die unterschiedlichen Verstärkungsfaktoren des Streitpatents seien unterscheidungskräftig gegenüber D1 der (Merkmal c)), wurde vom EPA zurückgewiesen. Die Druckschrift D1 offenbart zwei Verstärker mit unabhängig einstellbaren Verstärkungsfaktoren. Zudem basiere der Distanzmesser der Druckschrift D1 auf den grundsätzlich unterschiedlichen Eigenschaften der beiden Photodioden, insbesondere auf den unterschiedlichen Lichtempfindlichkeiten.
Aus diesen Gründen kam die Beschwerdekammer - entgegen der Entscheidung der Einspruchsabteilung - zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß dem damaligen ersten Hilfsantrag gegenüber der Druckschrift D1 nicht neu ist (Artikel 52 (1) und 54 (1) EPÜ).
Aufrechterhaltung nach "Hilfsantrag 2" – Neuheit?
Daher beantragte die Patentinhaberin die Aufrechterhaltung ihres Streitpatents in geändertem Umfang auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 15 des als "Hilfsantrag 2" mit Schreiben vom 13. Januar 2020 eingereichten Hilfsantrags. Wesentlich darin ist: die Aufrechterhaltung des Patents wurde damit mithilfe von Varianten verfolgt, die im ursprünglich erteilten Anspruch 1 nur fakultativ aufgeführt waren.
Erfüllt das den Anspruch der Neuheit?
Ein Schlüsselsatz in dieser Frage ist in D1 zu finden, dort heißt es: The light receiving circuits" include a PD 15A or an APD 15B, an amplifier 16A or 16B and an A/D converter 17A or 17B, respectively ". Die Beschwerdekammer des EPA erläuterte, der Fachmann werde den Ausdruck "include a PD 15A or an APD 15B " nicht isoliert betrachten. Vielmehr werde der Fachmann diesen Ausdruck in seinem Kontext sowohl aus sprachlicher (siehe Ausdruck "respectively") als auch aus technischer Sicht in dem Sinne verstehen, dass eine erste der beiden Lichtempfangsschaltungen eine Photodiode PD und die zweite Lichtempfangsschaltung eine Photodiode aufweist.
Während der Detektor der Druckschrift D1 aus zwei Photodioden PD und APD besteht, erklärte die Kammer, bestehe der Detektor des Streitpatents aus einer segmentierten Avalanche-Photodiode APD, sodass das Empfangsbauteil zwei voneinander unabhängige APD-Segmente als Empfangssegmente aufweist.
Das Streitpatent im Umfang des Hilfsantrags 2 erfülle demnach die Neuheit.
Ausführungen zur Lichtempfangsschaltung – erfinderisch?
Im Mittelpunkt stand nun die Frage nach der erfinderischen Tätigkeit, insbesondere in Hinblick auf die Lichtempfangsschaltung. War die im Streitpatent beanspruchte Verwendung von zwei Photodioden APD der Offenbarung der Druckschrift D1 ohne Weiteres entnehmbar?
Die Beschwerdekammer resümierte die grundlegende Idee der Distanzmesser der Druckschrift D1. Prägende Idee sei darin, insbesondere die unterschiedlichen Lichtempfindlichkeiten zweier Photodioden auszunutzen, um die Distanz eines lichtreflektierenden Objekts zu messen.
In diesem technischen Kontext habe der Fachmann keinerlei Veranlassung, gerade auf die Verwendung zweier Photodioden mit unterschiedlicher Lichtempfindlichkeit zu verzichten, erklärte die Beschwerdekammer. Und er hatte schon gar nicht Anlass, die beiden Photodioden PD und APD mit unterschiedlichen Lichtempfindlichkeiten der Druckschrift D1 durch zwei Photodioden mit der gleichen Lichtempfindlichkeit zu ersetzen. Denn dann müsste er sich fragen, welche technischen Anpassungen des Distanzmessers der Druckschrift D1 dazu erforderlich wären, damit der Distanzmesser funktionsfähig bleiben würde.
Angesichts der unterschiedlichen Funktionsweise der Detektoren der Druckschriften D1 und D7 bestand für den Fachmann auch keine Veranlassung, sich in der Druckschrift D7 nach Lösungen für die ihm gestellte Aufgabe umzusehen, geschweige denn in Betracht zu ziehen, die zwei Photodioden PD und APD des Detektors der Druckschrift D1 durch eine segmentierte APD-Photodiode zu ersetzen und sich dann mit dessen Auswertung zu beschäftigen.
EP Patent Optische Distanzmessung nach "Hilfsantrag 2"
Die Beschwerdekammer des EPA sah daher das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit für das Streitpatent gemäß Hilfsantrag 2 als erfüllt an und hob die angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung auf. Zudem seien die Merkmale des Distanzmessers des Anspruchs 1 ohnehin Voraussetzung für die Ausführung des Distanzmessverfahrens nach dem unabhängigen Anspruch 14.
Daher wird das Streitpatent mit folgender Fassung aufrecht erhalten:
Ansprüche: 1 bis 15 eingereicht als "Hilfsantrag 2" mit Schreiben vom 13. Januar 2020.
Beschreibung: Seiten 2 bis 16 der Patentschrift (mit teilweisen Ersetzungen)
Zeichnungen: Seiten 24 bis 35 der Patentschrift
Fazit
Die Aufrechterhaltung des Patents wurde mithilfe von Varianten verfolgt, die im ursprünglich erteilten Anspruch 1 nur fakultativ aufgeführt waren. Einmal mehr zeigt sich hier, wie wichtig die genaue Formulierung in der Patentanmeldung ist.
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