BGH: Offenbarung durch Entgegenhaltung
Vor dem BGH ist über ein europäisches Patent um Datensendeleistung entschieden worden, das ein Verfahren zum Betrieb eines Funkkommunikationssystems sowie Funkstationen in einem Kommunikationssystem beschreibt.
Mit einer Leitsatzentscheidung entschied der BGH in Bezug auf Offenbarung durch eine Entgegenhaltung (Entscheidung Datensendeleistung des BGH vom 21.06.2022, Az.: X ZR 53/20).
Die Leitsatzentscheidung
„Eine Vorrichtung mit bestimmten Funktionen ist durch eine Entgegenhaltung lediglich dann offenbart, wenn darin ein ausführbarer Weg aufgezeigt wird, sie herzustellen.“
Als ausführbar ist laut BGH eine technische Lehre grundsätzlich dann anzusehen, wenn der Fachmann mit Hilfe seines Fachwissens in der Lage ist, den in den Erzeugnisansprüchen beschriebenen Gegenstand entsprechend herzustellen und die in den Verfahrensansprüchen bezeichneten Verfahrensschritte auszuführen. Hierzu ist es nicht zwingend erforderlich, dass sämtliche in der Beschreibung geschilderten Vorteile auch realisiert werden.
Wenn eine Entgegenhaltung für bestimmte Betriebssituationen eine Verringerung der Sendeleistung auf mehreren Kanälen und die Umsetzung dieses Befehls innerhalb einer bestimmten Zeitspanne vorsieht, kann aus der ergänzenden Vorgabe, auf einem bestimmten Kanal mit der vorgegebenen Leistung zu senden, nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass eine Umsetzung dieser Anweisung innerhalb einer kürzeren Zeitspanne zu erfolgen hat.
Bereits mit der bisherigen Rechtsprechung ist ein Erzeugnis mit bestimmten Eigenschaften nicht schon dann offenbart, wenn eine Entgegenhaltung für eine solche Ausgestaltung Patentschutz beansprucht. Erforderlich ist vielmehr, dass sich der Entgegenhaltung unmittelbar und eindeutig eine konkrete technische Lehre entnehmen lässt, mit der sich die beanspruchten Eigenschaften verwirklichen lassen (siehe zuletzt BGH, Urteil vom 6. April 2021 - X ZR 54/19, GRUR 2021 - Cerdioxid).
Laut der jetzigen Entscheidung Datensendeleistung gilt dies auch für eine Vorrichtung, die bestimmte Funktionen aufweist. Hierzu sei zwar nicht erforderlich, dass die beschriebene Lehre vor dem Prioritätstag bereits praktisch umgesetzt worden ist. Sie müsse aber ausführbar offenbart gewesen sein, erläuterte der BGH (siehe auch BGH, Februar 2010 - Xa ZR 34/08).
Die Ausführbarkeit der technischen Lehre
Entscheidender Aspekt ist die Ausführbarkeit der technischen Lehre. Der BGH erläuterte dazu, eine für die Ausführbarkeit hinreichende Offenbarung setze voraus, dass der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs auf Grund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen am Anmelde- oder Prioritätstag praktisch so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg erreicht wird.
Der Fachmann muss demnach mit Hilfe seines Fachwissens in der Lage sein, den in den Erzeugnisansprüchen beschriebenen Gegenstand herzustellen und diejenigen Verfahrensschritte auszuführen, die in den Verfahrensansprüchen bezeichnet sind (BGH, Urteil vom 3. Februar 2015 - X ZR 76/13, GRUR 2015 - Stabilisierung der Wasserqualität; BGH, Urteil vom 29. März 2022 - X ZR 16/20, GRUR 2022 - Übertragungsleistungssteuerungsverfahren). Ausführbarkeit darf dabei nicht mit der Erreichung derjenigen Vorteile gleichgesetzt werden, die dieser Lehre in der Beschreibung zugeschrieben werden.
Nicht genügend für das Erfordernis der Ausführbarkeit ist es, wenn die Entgegenhaltung lediglich stichwortartig ein abstraktes Ziel vorgibt, ohne auch nur andeutungsweise darüber Aufschluss zu geben, wie dieses Ziel erreicht werden kann (BGH, 29. März 2022, X ZR 16/20, GRUR 2022 - Übertragungsleistungssteuerungsverfahren). Bei Heranziehung dieses Maßstabs erweise sich die Auffassung des Patentgerichts, dass die Lehre der D3 ausführbar offenbart ist, als zutreffend, entschied der BGH, übrigens entgegen der Auffassung des Gerechtshofs Den Haag (Niederlande) in einem parallelen Verfahren.
Das Gericht erläuterte, dass für die Beurteilung der Frage, ob die offenbarte Lehre anhand der mitgeteilten Informationen ausführbar war, auch solche Überlegungen von Bedeutung seien, die sich aus ergänzender Heranziehung von Fachwissen ergeben. Anders sei es bei der Bestimmung des Offenbarungsgehalts; denn dann sei das Kriterium von Bedeutung, ob der Fachmann alle Überlegungen bei der Lektüre von D3 mitliest. Dies aber ist in der Frage der Ausführbarkeit - entgegen der Auffassung der Berufung - nicht entscheidungserheblich.
Entscheidung Datensendeleistung: mit Hilfsantrag 1 verteidigter Gegenstand
Grundsätzlich besteht das technische Problem darin, eine effizientere Steuerung der Sendeleistung bereitzustellen. Als Einsatzgebiet kommen insbesondere Systeme in Betracht, bei denen die Signale über mehrere Trägerfrequenzen oder mit Spreizcodes (Code Division, Multiple Access, CDMA) übertragen werden.
In der Sache ging es um den mit Hilfsantrag I verteidigten Gegenstand, da alle Merkmale von Patentanspruch 1 als durch die D3 offenbart anzusehen sind. Das hatte das vorinstanzliche Patentgericht festgestellt – zutreffend nach Ansicht des BGH - und dies wurde in dem Beschwerdeverfahren insoweit auch nicht weiter angegriffen.
Der 1. Hilfsantrag I sieht als zusätzliches Merkmal vor, dass in den Zeiträumen zwischen der Erfüllung des ersten und des zweiten Kriteriums die Übertragung des Datenblocks mit einem niedrigeren Leistungspegel fortgesetzt wird. Danach sind Ausgestaltungen ausgeschlossen, bei denen die Übertragung auf dem Kanal, auf dem der in Merkmal 1.2.1 vorgesehene Datenblock übertragen wird, beim Eintritt des ersten Kriteriums vollständig eingestellt wird.
Um das zusätzliche Merkmal zu erfüllen, reiche es allerdings nach Ansicht des BGH nicht aus, wenn die Datenübertragung auf anderen Kanälen fortgesetzt wird, etwa einem Steuer- oder Pilotkanal. Vielmehr müsse die Übertragung des Datenblocks fortgesetzt werden. Diese Vorgabe betreffe den Datenblock und damit auch den Kanal im Sinne des Merkmals 1.2.1, entschied der BGH.
Dies aber nehme weder D1 vorweg noch D2 oder die weiteren Entgegenhaltungen, entschied der BGH. Auch werde der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht durch eine Kombination des UMTS Standards zum Prioritätszeitpunkt (D4, D4a und D4b) mit D1 nahegelegt.
Das Streitpatent erweist sich aus den oben dargelegten Gründen in dem mit Hilfsantrag I verteidigten Umfang als rechtsbeständig, entschied der BGH schlussendlich und wies die Klage ab.
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