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Maschinelles Lernen - technisch mit Blick auf G 1/19?



Maschinalles Lernen - technisch mit Blick auf G 1/19?


Ist ein Verfahren mit Lernphase durch Maschinelles Lernen als technisch zu sehen, vor allem mit Hinblick auf G 1/19 und eine indirekte Messung?

Diese interessante Frage wurde in dem Beschwerdeverfahren T 2803/18 vor einer Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts verhandelt, in dem es um Nässeereignisse, Verarbeitung von Sensorsignalen und Clusteranalyse ging.

Der Sachverhalt


Die Beschwerdeführerin (die. Ontex BVBA (Belgien)) legte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 17. September 2018 ein, in der die Einspruchsabteilung festgestellt hatte, dass das europäische Patent Nr. 2 582 341 “Method for analysing Events from sensor data by optimization” der Fred Bergman Healthcare Pty Ltd. (Australien) in geänderter Form den Erfordernissen des EPÜ entspricht.

Gemäß Anspruch 1 beschreibt die Patentanmeldung ein Verfahren mit Sensoren und Maschinellem Lernen in Bezug auf den Nässegehalt von Windeln. Vor der Beschwerdekammer wurde über den erfinderischen Schritt diskutiert und ob das aus D2 bekannte Verfahren mit allgemeinem Fachwissen als naheliegend anzusehen wäre.
Das vorliegende Verfahren grenzt sich gegenüber D2 durch zwei Unterscheidungsmerkmale ab, nämlich eine "Mehrzahl von Nässeereignissen" und die Lernphase durch Maschinelles Lernen, gekennzeichnet durch „Verfahrensschritt (iv)“.

Das erstgenannte Merkmal, die Pluralität von Nässeereignissen, wurde von der Beschwerdekammer als Unterscheidungsmerkmal verworfen – mit Verweis auf den gesunden Menschenverstand. Zwar wird in D2 in Passagen die Singularform "ein Nässeereignis" beschrieben, dies aber mache für einen Fachmann überhaupt keinen Sinn, erläuterte die Beschwerdekammer. Denn wenn jedes einzelne Nässeereignis dazu führen würde, dass Empfang und Verarbeitung von Sensordaten gestoppt würde, geschähe dies selbst bei geringsten Mengen an Nässe. In der Praxis macht das keinen Sinn, denn man will ja nicht für wenige Tropfen die Windel wechseln.

Einziges Unterscheidungsmerkmal ist daher die Lernphase durch Maschinelles Lernen, gekennzeichnet durch „Verfahrensschritt (iv)“.

Maschinelles Lernen als technisch zu sehen?


Es war unbestritten zwischen den Parteien, dass das Unterscheidungsmerkmal „Verfahrensschritt (iv)“ im Wesentlichen folgende Verfahrensschritte definiert:
• Vergleich von Vektoren mit repräsentativen Vektoren von Clustern
• Bestimmung des ähnlichsten
• Zuordnung des Vektors zu einem Cluster, basierend auf einem mathematischen Modell

Die Frage war jedoch, ob die Lernphase als Maschinelles Lernen wie in „Verfahrensschritt (iv)“ beschrieben zu einer technischen Wirkung beitrage und daher bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit zu berücksichtigen sei.

Die Parteien brachten folgende Argumente vor:

Die Beschwerdeführerin machte geltend, dieses Unterscheidungsmerkmal von Anspruch 1 beziehe sich auf eine mathematische Methode, die kein technisches Merkmal darstellt. Das Clustering gehöre zum allgemeinen Wissen.

Die Beschwerdegegnerin wiederum argumentierte, dass das vorliegende Verfahren als eine - von der Großen Beschwerdekammer in Nr. 99 der Gründe von G 1/19 vorgesehene - indirekte Messung qualifiziert werden könne und daher zur technischen Wirkung beitrage.
Anspruch 1 sei auf eine indirekte Messung gerichtet oder zumindest auf eine genaue Schätzung des Nässevolumens. Und kein Stand der Technik dokumentiere die Anwendung der Clusteranalyse auf dem Gebiet der Erkennung von Nässe in saugfähigen Artikeln.

Einig waren sich – nach der mündlichen Verhandlung – die Streitparteien und das EPA über das objektive technische Problem: vorliegend sei dies, ein alternatives Verfahren zur Verarbeitung von Sensorsignalen bereitzustellen, die Nässeereignisse in einem absorbierenden Artikel darstellen.

Maschinelles Lernen auf indirekte Messung gerichtet?


Die (mehr oder weniger genaue) Schätzung des Volumens des in einem saugfähigen Produkt in einer Vielzahl von Nässeereignissen gesammelten Exsudats könne als technischer Effekt angesehen werden, zu dem der Verfahrensschritt (iv) weiter beitrage, stimmte die Beschwerdekammer der Beschwerdegegnerin zu.

Doch werde keine technische Wirkung erzielt, die über den normalen Betrieb eines Prozessors zur Verarbeitung der Sensorsignale hinausgeht. Letztlich beziehe sich der Anspruch 1 lediglich auf die Verarbeitung und Analyse der von einem Sensor empfangenen Sensorsignale, stelle die Beschwerdekammer fest. Die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte erhöhte Genauigkeit der Schätzung sei nicht belegt worden, denn diese hänge von vielen Faktoren ab wie die Größe der Trainingssätze und Anzahl und Art der Elemente/Variablen, aus denen die repräsentativen Vektoren bestehen. Diese aber seien nicht definiert worden in der Patentanmeldung.

Das Clustering gehöre zum allgemeinen Wissen, ergänzte die Beschwerdekammer. Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass kein Stand der Technik die Anwendung der Clusteranalyse auf dem Gebiet der Erkennung von Nässe in saugfähigen Artikeln dokumentiere, sei nicht überzeugend, da die Methode zum allgemeinen Fachwissen Fachmanns auf diesem Gebiet gehöre, stellte die Kammer fest.

Indirekte Messung gemäß Nr. 99 der Gründe von G 1/19?


Ob das Verfahren im vorliegenden Fall als eine von der Großen Beschwerdekammer in Nr. 99 der Gründe von G 1/19 vorgesehene indirekte Messung qualifiziert werden kann, könne hier unentschieden bleiben, schloss die Beschwerdekammer. Denn unabhängig davon, ob das Verarbeitungsverfahren nach Anspruch 1 als mit einem technischen Effekt verbunden angesehen werden kann, sei der Gegenstand von Anspruch 1 angesichts der naheliegenden Kombination des aus D2 bekannten Verfahrens mit allgemeinem Fachwissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend.

Abschließend führte die Beschwerdekammer ihre Überlegungen aus zur technischen Wirkung der Steuerung durch Volumenbestimmung. Die Bestimmung des Volumens eines einzelnen oder mehrerer aufeinanderfolgender Nässeereignisse habe keine technische Wirkung in dem Sinne, dass das so bestimmte Volumen notwendigerweise die Steuerung irgendeines Bestandteils des Systems beeinflusst oder eine Änderung der Funktionsweise des Systems impliziert.

Letztlich handelt es sich also um die normale physikalische Interaktion zwischen dem Programm (hier dem Verfahren zur Verarbeitung von Sensorsignalen, die ein Nässeereignis darstellen) und dem Computer (Prozessor), auf dem der auf dem (optimalen) mathematischen Modell basierende Verarbeitungsalgorithmus ausgeführt wird.

Mangels eines Anspruchssatzes, der den Erfordernissen des EPÜ entspricht, ist das Patent zu widerrufen (Artikel 101 (3) b) EPÜ), entschied die Beschwerdekammer und hob die angefochtene Entscheidung auf (T 2803/18).

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