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Computergestützte Modellierung bei Arzneientwicklung – erfinderisch?



computergestützte (in silico) Modellierung in der Arzneientwicklung

Die computergestützte Modellierung von Enzymen und Proteasen und deren Derivate in der pharmazeutischen Zusammensetzung für die Arzneientwicklung gehört zum Standard, es ist die sogenannte in silico Modellierung.

Ist die Wahl einer bestimmten Komponente in der pharmazeutischen Zusammensetzung für die Arzneientwicklung daher naheliegend, weil die Auswirkung einer bestimmten Komponente leicht mit computergestützter Modellierung überprüft werden kann von einem Fachmann?

Über eine solche Frage hat die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts in T 1442/19 entschieden.

Der Sachverhalt


In dieser Entscheidung T 1442/19 wurde über die Beschwerden von zwei Einsprechenden gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung des EPA (angefochtene Entscheidung) verhandelt, wonach das europäische Patent Nr. 2 487 161 (EP Patent „Modulators of pharmacokinetic properties of therapeutics“) in geänderter Form den Erfordernissen des EPÜ entspricht. Das angefochtene Patent geht auf die europäische Patentanmeldung Nr. 12 167 589.6 zurück, die eine Teilanmeldung der europäischen Patentanmeldung Nr. 08 743 531.9 ist.

Gegen die Entscheidung wurde vorgebracht, dass der Gegenstand des Patentanspruchs unzulässig erweitert worden sei und dass es an erfinderische Tätigkeit fehle.

Die Beschwerdeführer argumentierten, der Gegenstand des Patentanspruchs sei die Auswahl aus einer Angabe von gleich bevorzugten Gegenständen (z. B. mehrere unabhängige Ansprüche). Es liege eine Erweiterung des Gegenstands des Patentanspruchs vor. Nach T 3139/19 erfordere die Beschränkung auf nur einen Gegenstand auch dann eine Auswahl, wenn die entsprechende Liste nur zwei Gegenstände umfasse. Der Hauptantrag und der Hilfsantrag 1 erfüllten daher nicht die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ.

Angesichts des allgemeinen Fachwissens des Fachmanns wäre die Wahl der Morpholinoethylgruppe als solubilisierende Komponente naheliegend gewesen, machten die Beschwerdeführer geltend, umso mehr als die Auswirkung einer bestimmten löslich machenden Einheit wie der Morpholinoethylgruppe auf die Wechselwirkung mit der HIV-1-Protease oder CYP3A leicht durch computergestützte (in silico) Modellierungsmethoden untersucht werden konnte. Kristallstrukturen, die die Zielenzyme enthalten, waren vor dem Prioritätstag des Patents bekannt, und diese Daten könnten in computergestützter Modellierung verwendet werden.

EPA: Erfinderische Tätigkeit in der Arzneientwicklung


Die Beschwerdekammer des EPA sah den in D3 offenbarten Arzneistoff Ritonavir als den geeignetsten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.

Das objektive technische Problem bestand nach Ansicht der Beschwerdekammer darin, eine pharmazeutische Zusammensetzung bereitzustellen, die einen Pharmakoverstärker enthielt, der

(i) keine HIV-1-Protease hemmende Wirkung hatte,
(ii) ein potenter Inhibitor von CYP3A war und eine erhöhte Selektivität für Enzyme dieser Unterfamilie im Vergleich zu Enzymen anderer CYP-Unterfamilien aufwies, und
(iii) die orale Bioverfügbarkeit beibehielt.

Der Argumentation der Beschwerdeführer folgte die Beschwerdekammer jedoch nicht.

Die Argumentation der Beschwerdeführer stützte sich u.a. auf die Behauptung, dass der Fachmann bei der Entwicklung eines neuen Arzneimittels ausgehend von Ritonavir die Morpholinoethylgruppe als löslich machende Komponente gewählt und einen anderen Baustein in naheliegender Weise durch sie ersetzt hätte. Als Beweis dafür, dass die Verwendung der Morpholinoethylgruppe als Lösungsvermittler zum allgemeinen Wissen gehörte, war auf D9 verwiesen worden, ein Buchkapitel, in dem es um die Umwandlung eines wasserunlöslichen Arzneimittels in ein wasserlösliches durch kovalentes Anhängen eines geeigneten löslich machenden Teils geht.

Doch die Beschwerdekammer des EPA wies dies zurück. Es sei in D9 in einer einzigen relevanten Passage die Rede von der Morpholinoethylgruppe als Lösungsvermittler durch O-Alkylierung. Andere Methoden oder Beispiele, die eine andere Art der Einführung dieser Gruppe zeigen, seien in D9 nicht offenbart worden.

Und selbst wenn man zugunsten der Beschwerdeführer unterstellt, dass die Wahl der Morpholinoethylgruppe als Lösungsvermittler naheliegend war, könne die Art und Weise, in der diese Gruppe in Cobicistat eingebaut wurde, nicht als naheliegend angesehen werden, entschied die Beschwerdekammer. Außerdem hätte der Fachmann, selbst wenn er den Ersatz der Isopropylgruppe durch eine Morpholinoethylgruppe in Betracht gezogen hätte, dies nicht in der begründeten Erwartung getan, dass sich das Ausmaß der CYP3A-Hemmung nicht ändert und die Selektivität gegenüber CYP3A im Vergleich zu anderen CYP-Isoformen sogar noch erhöht.

Computergestützte Modellierung


Computergestützte Modellierung hätte im vorliegenden Fall keinen angemessenen Grad an Genauigkeit ergeben, stellte die Beschwerdekammer fest. Der Fachmann wäre im Unklaren darüber gelassen worden, welchen Einfluss diese strukturelle Veränderung auf das Ausmaß der CYP3A-Hemmung und die Hemmung anderer CYP-Isoformen hat.

Erweiterung des Gegenstands


In Bezug auf die Argumentation der Beschwerdeführer erklärte die Beschwerdekammer, dass eine „Liste“ als Aufzählung von gleichermaßen bevorzugten Punkten nicht nur gebildet wird durch offensichtliche Aufzählungspunkte oder Tabellenformate. Vielmehr sei die Information, die dem Fachmann vermittelt wird, entscheidend. Was die Offenbarung betrifft, gebe es nach Ansicht der Beschwerdekammer keinen Unterschied zwischen Teil c), in dem bestimmte Beispiele in einzelnen Ansprüchen genannt werden, und der hypothetischen Situation, in der diese Beispiele alle in einem einzigen Anspruch enthalten sind.

Dass die Ansprüche 19 bis 21 eine Liste bilden, von der die Beschränkung auf nur einen eine Auswahl darstellt, ist genau das, was den vorliegenden Fall von den Entscheidungen T 735/19 und T 2635/18 zugrundeliegenden Fällen unterscheidet, auf die sich die Beklagte berief, um ihr Argument zu stützen, dass ein Anspruch eine eigenständige Ausführungsform sei und dass eine Beschränkung auf seinen Gegenstand keine Auswahl darstelle.

Es sei auch nicht relevant, ob es sich um eine kurze Liste handele. Sogar eine doppelte Auswahl aus zwei sehr kurzen Listen wird als zulässige Änderung angesehen (Entscheidung T 2037/17, Entscheidungsgründe, Nr. 1.3). Daraus folge, dass Anspruch 3 die Erfordernisse des Artikels 76 (1) EPÜ nicht erfüllt.

Der Hauptantrag ist unzulässig, entschied die Beschwerdekammer. Der Gegenstand von Anspruch 1 und aufgrund seiner Abhängigkeit von Anspruch 1 auch der von Anspruch 2 allerdings beinhaltet eine erfinderische Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ. Der Hilfsantrag 2 ist daher zulässig.

Die angefochtene Entscheidung wurde aufgehoben und die Sache an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen. Das Patent ist in geänderter Form und einer daran anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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