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BGH: Stand der Technik - was zählt dazu?



Stand der Technik - was zählt dazu? Entscheidungen des BGH

Der Stand der Technik ist relevant für jede Patentanmeldung, daran wird ermessen, ob eine Erfindung zum technischen Wissen beiträgt und damit schutzfähig ist. Für die Feststellung vom Stand der Technik in Bezug auf ein Patent werden alle bis zum Prioritätstag öffentlich zugänglichen Publikationen berücksichtigt, und zwar weltweit.

Dies allerdings wirft einige Fragen auf: Was ist mit Publikationen im Internet? Was ist mit den Unterlagen einer Patentanmeldung, die ja womöglich gar nicht veröffentlicht wird?

Was also zählt zum Stand der Technik?

Stand der Technik – Publikation im Internet


Nach EPÜ Art. 54 Abs. 2 (Europäisches Patentrecht) und PatG § 3 Abs. 1 (Deutsches Patentrecht) bildet den Stand der Technik, was vor dem Anmeldetag oder dem Prioritätstag der Patentanmeldung schriftlich oder mündlich oder auch durch Benutzung öffentlich zugänglich gemacht worden ist.
Was das konkret bedeutet, ist in Bezug auf eine Publikation im Internet gar nicht klar. Glücklicherweise hat es in der letzten Zeit aber recht konkrete Rechtsprechung dazu gegeben.

Gilt jedes im Internet verfügbare Dokument ohne weiteres als ‚öffentlich zugänglich“? Dann wäre ja auch ein Dokument „öffentlich zugänglich“, das auf einem gesicherten Server liegt und gerade nicht für jedermann zugänglich ist.

In so einem konkreten Fall hat der BGH im September 2018 mit der Leitsatzentscheidung Drahtloses Kommunikationsnetz entschieden (X ZR 14/17). Entscheidend sei, ob ein digitales Dokument über ein Verzeichnis aufgerufen werden kann, das der Öffentlichkeit als Speicherort für fachbezogene Veröffentlichungen bekannt ist. Das war vorliegend der Fall, denn das fragliche Dokument lag auf einem ftp-Server von 3GPP und dieser ist in Fachkreisen bekannt und für Fachleute auch zugänglich.

Zeitzonen und Stand der Technik


Auch in Bezug auf die Definition, alle Dokumente vor dem Kalendertag der Patentanmeldung sind zu berücksichtigen für den Stand der Technik, wirft für eine Publikation im Internet Fragen auf. Denn die Stunde oder Minute der Veröffentlichung ist unerheblich bei einer Patentanmeldung

Was aber ist der relevante „Kalendertag einer Veröffentlichung“ innerhalb der weltweiten Zeitzonen? Ein konkreter Kalendertag in Europa beispielsweise könnte ja beispielsweise in Hawai noch der Vortag sein.

Das weltweite Internet ist jedoch überall öffentlich. Es gab daher Stimmen, der Stand der Technik sei auf die weltweit mögliche Veröffentlichung zu beziehen zum ganz konkreten Zeitpunkt der Priorität stiftenden Patentanmeldung (vgl. EPA, Beschluss vom 12. August 2013 – Anmelde-Nummer 09 733 661.4, Abs. 5).

Der BGH jedoch wandte sich gegen eine solche Erweiterung des Referenzrahmens auf alle Zeitzonen (Leitsatzentscheidung Drahtloses Kommunikationsnetz (X ZR 14/17), Rn. 87 ff.). Nach Ansicht des BGH – auch mit Verweis auf die Pariser Übereinkunft – ist der Bezug zur Veröffentlichungshandlung entscheidend.
Bei der öffentlichen Zugänglichmachung einer technischen Lehre über ein Medium wie das Internet sei auf den Ort und dessen Zeitzone abzustellen, an dem die Handlung erfolgt, die zur öffentlichen Zugänglichkeit der technischen Information für die Fachwelt führt, urteilte der BGH und nahm dies in den dritten Leitsatz auf.

Stand der Technik per Unterlagen einer Patentanmeldung


Nach allgemeiner deutscher Rechtsprechung sind Unterlagen eines Patentanmeldungsverfahrens, die einem allgemeinen Recht auf Akteneinsicht unterliegen, grundsätzlich als bekannt zu unterstellen (vergl. BGH, Urteil vom 29. Februar 2000 - X ZR 166/97; Melullis in Benkard, Patentgesetz, 11. Aufl. 2015, § 3 Rn. 95; Keukenschrijver in Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 9. Aufl. 2020, § 3 Rn. 39). Dies hat der BGH hat erst kürzlich bekräftigt. (BGH Leitsatzentscheidung Gesperre, X ZR 36/21).

Doch was ist mit Patentanmeldeunterlagen für eine Anmeldung, die nicht veröffentlicht wird? Dies war die Rechtsfrage der BGH Entscheidung Gesperre.

Wird eine Patentanmeldung nicht veröffentlicht, dann ergeht auch kein Hinweis nach § 32 Abs. 5 PatG, der Voraussetzung für das allgemeine Recht auf Akteneinsicht ist. Das aber ist nicht alleinig zu beachten. Denn im vorliegenden Fall war vor dem Anmeldetag des Streitpatents eine andere Patentanmeldung veröffentlicht worden, die die Priorität der nicht veröffentlichten Patentanmeldung in Anspruch nimmt. Konkret wurde NK6 nicht veröffentlicht, aber die veröffentlichte NK4 hatte die Priorität aus NK6 in Anspruch genommen. Folglich kam eine Abschrift von NK6 zu den Akten von NK4, die wiederum öffentlich zugänglich war.

Unterlagen eines Patentanmeldungsverfahrens, die einem allgemeinen Recht auf Akteneinsicht unterliegen, sind grundsätzlich der Öffentlichkeit zugänglich – und das gilt auch für eine frühere Patentanmeldung, deren Priorität die dem Akteneinsichtsrecht unterliegende Anmeldung in Anspruch nimmt, lautet die Leisatzentscheidung Gesperre des BGH (BGH Gesperre, X ZR 36/21).

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